Aus Strom wird Treibstoff, Wärme und Gas: Sektorkopplung in der Praxis

«Sektorkopplung» ist in aller Munde. Doch wie sieht diese in der Praxis aus? Eine Exkursion von Swisspower zeigte: Erste Projekte in der Schweiz setzen die Vernetzung der verschiedenen Energiesektoren bereits um, doch für den nötigen Ausbau braucht es weitere Förderung und geeignete rechtliche Rahmenbedingungen.

«Klimawandel», «Atomausstieg» oder «Dekarbonisierung» - diese Begriffe stehen für den fundamentalen Wandel, vor dem das Energiesystem in der Schweiz wie auch in Europa steht. Konventionelle, bandlastfähige Kraftwerke werden zunehmend durch Solar- und Windkraft ersetzt. Diese beiden Energieträger stehen jedoch für eine fluktuierende und nicht steuerbare Stromerzeugung, was zu starken Schwankungen der verfügbaren Einspeisekapazität führen wird. Gleichzeitig wird der Stromverbrauch mit der Elektrifizierung des Wärmesektors und dem Ausbau der Elektromobilität steigen.

Energiezukunft mit Sektorkopplung

Um das Erzeugungsdefizit von elektrischer Energie und die Importabhängigkeit im Winterhalbjahr zu mindern sowie Erzeugungsspitzen im Sommer zu glätten, werden Power-to-X-Technologien an Bedeutung gewinnen. Diese Technologien ermöglichen es, elektrische Energie über eine Umwandlung zu speichern und für eine anderweitige Nutzung bereitzustellen, beispielsweise in der Mobilität. Wie diese Sektorkopplung in der Schweiz in ersten Projekten bereits umgesetzt wird, konnten die Teilnehmer der Swisspower-Exkursion «Energiezukunft mit Sektorkopplung» Mitte Mai erfahren.

Wasserstoff für Lastwagen

Ein Beispiel aus dem Mobilitätssektor sind die Projekte der H2 Energy AG, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Diesel-Lastwagen in der Schweiz durch mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge zu ersetzen. Der weltweit erste Wasserstoff-LKW der 34-Tonnenklasse ist bereits für Coop auf der Strasse unterwegs; ebenso mehr als 40 Wasserstoff-Autos. Den benötigten Wasserstoff produziert H2 Energy zu Spitzen-Produktionszeiten mit erneuerbarem Strom aus dem Laufwasserkraftwerk der Eniwa (peak shaving) und liefert ihn an die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz in Hunzenschwil.

Power-to-Heat: Überschussstrom in Wärme umwandeln

Den Strom- mit dem Wärmesektor verbindet die Renergia AG in Perlen, die neben ihrer Kehrichtverwertungsanlage (KVA) eine Power-to-Heat Anlage mit 20 MW elektrischer Leistung betreibt. Die Anlage ermöglicht es, mit Überschussstrom erneuerbare Wärme für einen Wärmeverbund herzustellen.

Erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz

In Dietikon plant Limeco in Kooperation mit Swisspower die erste kommerziell betriebene Power-to-Gas-Anlage der Schweiz mit einer Leistung von 2 MW. Diese Anlage wird mit Strom aus der KVA erneuerbares Methangas herstellen, das anschliessend ins Erdgasnetz eingespeist wird. Um den aus Strom erzeugten Wasserstoff mit dem CO2 aus der Klärschlammvergärung zu Methangas umzuwandeln, setzt Limeco auf die biologische Methanisierung mit Hilfe von Urbakterien, sogenannten Archaeen.

Neben diesen drei Projekten führte die Exkursion auch zu der Josef Ottiger + Partner AG, die eine Heizung mit Eisspeicher betreibt, zum Energiezentrum der Agro Energie Schwyz AG, die aus Biomasse Strom und Wärme produziert, sowie zum Heizwerk Gotthard in Göschenen, das Fernwärme aus Holz erzeugt.

Technologien sind vorhanden, Rahmenbedingungen müssen verbessert werden

Die Exkursion zeigte: Die Technologien für die Sektorkopplung sind bekannt, und erste Projekte setzen diese in der Schweiz bereits um. Damit wir die klimapolitischen Ziele erreichen und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten können, braucht es jedoch mehr Projekte, die Energieproduktion, Speicherung und Verbrauch intelligent und sektorübergreifend vernetzen. Dazu müssen innovative Projekte gefördert und die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, etwa mit der Befreiung des Stroms für Power-to-Gas-Anlagen von Netznutzungsentgelten. Dies wird dazu beitragen, die technologische Entwicklung voranzutreiben und zur wirtschaftlichen Marktreife zu bringen.